Grenzwerte für die Feinstaubbelastung: Wann wird es kritisch?
In kalten Wintern und heißen Sommern erreicht die Feinstaubbelastung regelmäßig Spitzenwerte. Diese geruchlose und unsichtbare Gefahr kann verheerende Folgen für unsere Gesundheit nach sich ziehen. Der Zeitpunkt ist gekommen, die Alarmglocke zu läuten und einschneidende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu ergreifen.
Im Dezember 1952 kostete die große Smog-Katastrophe in London 12.000 Menschenleben und verdeutlichte auf dramatische Weise die desaströsen Auswirkungen der Luftverschmutzung. „Diese Umweltkatastrophe diente als Weckruf und führte in den darauf folgenden Jahren dazu, dass sich die Wissenschaft mit dem Thema Luftverschmutzung befasste. Nach und nach wurden die ersten öffentlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung umgesetzt“, so Francelyne Marano, emeritierte Professorin an der Universität Paris Cité und ehemalige Vorsitzende des Fachausschusses für Umweltrisiken am Hohen Rat für öffentliche Gesundheit (HCSP) in Frankreich. 70 Jahre später ermöglichen uns Qualitätsziele sowie Richt- und Grenzwerte, das Phänomen der Feinstaubbelastung besser zu verstehen.
Grenzwerte der WHO als Qualitätsziele
Auf Grundlage fundierter wissenschaftlicher und medizinischer Daten hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwei neue Richtwerte für Feinstaub festgelegt: einen Grenzwert von 25 µg/m³ (Mikrogramm pro Kubikmeter) für den Tagesdurchschnitt (24 Stunden) und 10 µg/m³ für den Jahresdurchschnitt. „Diese zur Begrenzung der langfristigen und kurzfristigen Exposition gegenüber Feinstaub ermittelten Grenzwerte sind für die Länder nicht rechtlich bindend. Vielmehr dienen sie als Richtwerte, die Entscheidungsträgern bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Reduzierung der Luftverschmutzung durch Feinstaub leiten sollen“, so Francelyne Marano weiter. Im Jahr 2021 hat die WHO ihre Vorgaben für die Feinstaubbelastung (PM2,5 und PM10) verschärft und auf 5 mg/m³ im Jahresdurchschnitt für PM2,5 und 15 µg/m³ für PM10 gesenkt. Diese Anpassung basiert auf der wissenschaftlich belegten Beweislage, die im Kontext der Schadstoffkonzentrationen für PM2,5 und PM10 vermehrte Gesundheitsrisiken dokumentiert. „Die Neujustierung begründet sich in erster Linie auf Studien, die einen direkten Zusammenhang zwischen der Umweltverschmutzung und Krebserkrankungen nachweisen. Neben Lungenkrebs zählt unter anderem auch Brustkrebs zu den möglichen Folgen“, so Francelyne Marano.
99 % der Weltbevölkerung betroffen
In der Praxis tun sich die Staaten jedoch weiterhin schwer, die Empfehlungen der WHO zu befolgen. „Die Europäische Union hat weniger strenge Richtwerte festgelegt: 25 µg/m³ PM10 (EU) im Jahresdurchschnitt und 50 µg/m³ im Tagesdurchschnitt. Eine Überschreitung des Tagesdurchschnitts darf an höchstens 35 Tagen pro Jahr erfolgen. Diese Grenzwerte sind doppelt so hoch wie die WHO-Werte – und dennoch fällt es einigen europäischen Staaten schwer, sie einzuhalten“, konstatiert Francelyne Marano. Die Europäische Union ist kein Einzelfall: 99 % der Weltbevölkerung leben in Regionen, in denen die von der WHO festgelegten Richtwerte regelmäßig oder gar dauerhaft überschritten werden. In 17 % aller Städte in einkommensstarken Ländern bleibt die Luftqualität hinter den Luftqualitätsrichtlinien der WHO für PM2,5 und PM10 zurück. Eine überaus bedenkliche Erkenntnis, zumal die WHO aufgrund der Luftverschmutzung im Freien jährlich 4,2 Millionen vorzeitige Todesfälle beobachtet.
Über die Spitzenwerte hinaus
„Epidemiologische Studien untermauern die Tatsache, dass die Langzeitbelastung – neben den offensichtlichen Gefahren von Spitzenbelastungen – der wichtigste Faktor hinsichtlich Morbidität und Mortalität ist“, so Francelyne Marano. Eine langfristige Exposition gegenüber hohen Feinstaubbelastungen geht – selbst ohne Spitzenwerte – mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, Krebs, Entwicklungsstörungen bei Kindern, neurodegenerative Erkrankungen und vorzeitige Todesfällen einher. Laut dem Institut für Energiepolitik der Universität Chicago könnte die permanente Einhaltung der WHO-Standards die Lebenserwartung weltweit um durchschnittlich 2,3 Jahre erhöhen. Dafür muss jedoch die Bewertung der von der Luftverschmutzung ausgehenden Gesundheitsrisiken sowohl die täglichen Grenzwerte als auch die langfristige Exposition gegenüber Feinstaub einbeziehen. Punktuelle Maßnahmen bei Spitzenbelastungen reichen nicht aus, um die Bevölkerung vor dem Feinstaub zu schützen.
Vielmehr muss die öffentliche Politik Mittel und Wege finden und umsetzen, um die Belastung im gesamten Jahresverlauf zu reduzieren. Dazu gehört die Förderung der sanften Mobilität, die Einrichtung von Umweltzonen sowie die Durchführung von Aufklärungskampagnen. Aufgabe der Automobilindustrie ist es, im großen Umfang saubere Fahrzeuge bereitzustellen, die über die reine Elektrifizierung hinaus die Feinstaubbelastung und damit die Gesundheitsrisiken für die Menschen in städtischen Gebieten eindämmen. Jeder Einzelne muss zudem Verantwortung übernehmen und seinen Beitrag für eine gesunde Atemluft leisten!
Wie kann man sich vor der Feinstaubbelastung schützen?
- Informieren Sie sich über die Schadstoffbelastung in Ihrer Umgebung.
- Vermeiden Sie Wohngegenden an stark befahrenen Straßen.
- Nutzen Sie das Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel oder statten Sie Ihr Fahrzeug zumindest mit einem Partikelfilter aus.
- Achten Sie auf einen gesunden Lebensstil und nehmen Sie antioxidative Lebensmittel zu sich (Pflaumen, Artischocken, Himbeeren etc.).
- Bleiben Sie bei starker Luftverschmutzung möglichst zu Hause und vermeiden Sie sportliche Aktivitäten im Freien.